5. Kapitel
Mädchen unter sich
Bei der Lona in der Gumpendorferstraße herrschte geradezu Panikstimmung. Acht
junge Damen, eine schöner als die andere, waren schon versammelt und immer
wieder mußte die dicke Wirtschafterin, Frau Kathi Schoberlechner, die
Wohnungstür öffnen und ein Fräulein hereinlassen.
Im Salon roch es außerordentlich kräftig nach Houbigant, Ambre, Coty Rouge und
Zigaretten, und es leuchtete und funkelte von hellblonden, rotblonden,
schwefelgelben und schwarzen Haaren, Diamanten und Perlen. Alle waren in Spitzen
und Seide gekleidet, nur die Lona trug einen duftigen Schlafrock, der vorn offen
war, so daß ihr der schneeweiße Busen fast entquoll, und ihre nackten Füße
steckten in roten Pantöffelchen.
Die schwarze Yvonne weinte zum Herzzerbrechen, die rote Margit aber schlug auf
den Tisch und schrie erbost:
»Mir müssen demonschtrieren! Wann i so an Nationalpülcher derwisch, kratz' i
eahm die scheangleten Augen aus!«
»A so a Gemeinheit! Was soll'n mir denn machen, wann s' die Juden
hinausschmeißen?«
Yvonne weint noch heftiger. »Und grad jetzt, wo mir der Fredi Pollak a neuches
Automobil bestellt hat.«
»Mir gibt der Reizes, mit dem was ich seit zwei Wochen geh', zehn Millionerln im
Monat! Möcht' wissen, ob die Herren Christen auch so splendid sein werd'n?«
»Ihr wißt ja eh, ich hab' den Zwitterbauch aus Mährisch-Ostrau, der mich ganz
aushält und nur amal im Monat auf a Wochen nach Wien kummt!«
Eine üppige Juno mit gelben Haaren schlug die starken, aber schönen Beine
übereinander, daß man die blauseidenen Strumpfhalter sah, leerte ein Gläschen
Cointreau und sagte mit klingender Altstimme:
»Kinder, am meisten Erfahrung habe wohl ich im Leben! Und ich kann nur sagen,
wenn die Juden verschwunden sind, müssen wir alle verhungern oder uns um Stellen
als Klosettfrauen in Kaffeehäusern umsehen. Geldlassen tun nur die Juden, die
anderen wollen alle viel Liebe und wenig Spesen! Zehn Jahre bin ich mit dem
Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen, und in diesen zehn Jahren hat er
mir ein goldenes Armband, einen Pelzkragen und tausend Gulden geschenkt. Ein
Glück, daß ich dabei noch den Herschmann von der Anglobank gehabt habe, sonst
hätte ich am Ende noch arbeiten müssen. Seither flieg' ich nur auf die
Israeliten!«
Claire spielte nervös mit dem goldenen, diamantbesetzten Kreuz, das sie an einer
Platinkette trug. »Was wohl der Karl sagen wird, wenn ich vom Doktor Baruch
nichts mehr bekomm'!«
Neue Klagen erhoben sich, Wehrufe wurden laut. Daran hatte man im Drange der
Geschehnisse noch gar nicht gedacht! Was sollte mit den Freunden werden, die man
liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten, nicht mehr waren?
Da führte die Frau Kathi einen dieser Freunde herein. Pepi war das Ideal eines
feschen Kerls. Tiptop vom staubgrauen Samthut über die gestrickte Krawatte
hinweg bis zu den gelben Halbschuhen, über denen man sanft getönte, blaue
Seidenstrümpfe sah.
Schluchzend warf sich die reizende schwarze Yvonne in die Arme ihres
Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn stürmisch, ein Hagel von Rufen und Fragen
ergoß sich über ihn. Pepi ließ sich ruhig in einen Fauteuil fallen, zog Yvonne
auf seine Knie, zwickte die neben ihm sitzende Lona in die nackten Waden und
sagte, nachdem er sich eine Zigarette hatte in den Mund stecken lassen:
»Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch auswandern!«
»Ja, woher wirst an' Auslandspaß kriegen und wer laßt dich denn hinein?«,
entgegnete die kluge goldblonde Carola.
»Sehr einfach«, lachte Pepi. »Morgen geh' ich aufs Rathaus, werde
konfessionslos, übermorgen geh' ich zur israelitischen Kultusgemeinde, erkläre
mich solidarisch mit dem mißhandelten Judentum und werde Israelit. Hoffentlich
ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unser Ablösegeld vom Staat und
können nach den Bestimmungen des Völkerbundes uns anderswo ansiedeln. Wir gehen
nach Paris oder nach Brüssel oder sonst wohin, wo was los ist.«
Yvonne lachte unter Tränen. »Geh', was soll ich denn in Paris als verheiratete
Frau machen?«
»Tschapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß wir verheiratet sind! Nimmst
dir eine Wohnung, suchst einen Freund, der dich ordentlich aushält und ich bin
so wie jetzt fürs Herz da!«
In den nächsten Tagen wußten die liberalen Blätter zu berichten, daß Hunderte
von wackeren christlichen Jünglingen, empört über das den Juden angetane
Unrecht, demonstrativ ihren Übertritt zum Judentum beschlossen hätten, um das
Schicksal dieses schwer geprüften Volkes zu teilen.
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