2. Kapitel
Herr Schneuzel und sein Schwiegersohn
Als der Nationalrat, Gemeinderat, Armenrat und Gewerberat Antonius Schneuzel am
nächsten Vormittag – es war ein Sonntag – infolge der endlosen Siegesfeier arg
verkatert am häuslichen Frühstückstisch erschien, fand er eine recht
unbehagliche Stimmung vor. Seine Gattin hatte eine nadelspitze Nase, was auf
Sturm deutete, seine Tochter, Frau Corroni, saß mit verquollenen Augen da, ihr
Gatte, der Prokurist Alois Corroni, lächelte den Schwiegervater impertinent und
verächtlich an, und die beiden Enkelkinder Lintschi und Hansl stießen ein
furchtbares Geheul aus, als Herr Schneuzel seine kleinen Äuglein verwirrt und
ängstlich um den Tisch kreisen ließ.
»Ja, was is denn da los?«
Frau Schneuzel stemmte die Arme in die Seite. »Was los is, du Fallot, du? Gar
nichts is los, als daß du, alter Tepp, geholfen hast, deine Tochter und die
Enkelkinder aus dem Land zu treiben!«
»Ja, wieso denn?« stammelte Herr Schneuzel. Aber schon dämmerte ihm grauenhafte
Wahrheit. Richtig, er hatte im Laufe der Jahrzehnte total vergessen, daß sein
Schwiegersohn, Herr Alois Corroni, in frühester Jugend Sami Cohn geheißen und
erst stehend und aufrecht die Taufe empfangen. Also mußte er ja hinaus und mit
ihm die beiden Kinder, die Judenstämmlinge waren!
»So eine Gemeinheit«, schluchzte Frau Corroni in ihr Taschentuch hinein, »was
soll ich jetzt mit den Kindern anfangen? Nach Zion auswandern vielleicht, du
Rabenvater, du?«
»Jawohl, es ist ein starkes Stückchen«, erklärte nun Herr Corroni mit scharfer
Betonung jedes Wortes, »einen Mann wie ich, der behaupten darf, mindestens ein
ebenso guter Christ zu sein als tausend andere, die den ganzen Tag im Wirtshaus
herumsitzen, einen Mann wie ich, dessen Kinder im christlichen Glauben groß
geworden sind, aus dem Lande zu jagen wie einen tollen Hund!«
Herr Schneuzel wollte eine Erwiderung machen und murmelte etwas von großer,
heiliger Sache, Prinzipien, die auf Einzelfälle keine Rücksicht nehmen können.
Aber schon saß die Hand der Gattin in seinen spärlichen Haaren und ließ nicht
locker, bevor sie sich mit einem ganzen Büschel des immer rarer werdenden
Gewächses zurückziehen konnte.
»Viecher seid's ihr alle zusammen! Gestohlen könnt's ihr mir werden mit eurem
Christentum! Hat der Loisl unser Annerl nicht immer gut behandelt? Hat sie nicht
einen Bisampelz von ihm bekommen, läßt er die Kinder nicht aufwachsen wie die
Prinzen! Dem lieben Gott sollst du danken, daß sie einen Juden bekommen hat und
nicht einen Kerl wie dich, einen Saufbruder und Skandalmacher!«
»I geh' net nach Zion«, heulte Lintscherl, während Hans die Gelegenheit
benützte, von Großvaters Teller weg den Sonntagsgugelhupf zu grapsen.
Im Moment höchster Aufregung kam die Köchin Pepi herein, räumte resolut den
Tisch ab und erklärte seelenruhig:
»I geh'! I heirat' mein Isidor, der was Kommis im Konsumverein is, und wann er
auswandern muß, wander' i mit ihm aus! Von mir aus können sich die Herrn
Nationenräte mitsamt dem Kränzler alle zusammen aufhängen.«
Nachdem sich die Aufregung gelegt, erörterte Herr Corroni sachlich die
Situation.
»Ich denke natürlich gar nicht daran, nach Palästina auszuwandern, schon deshalb
nicht, weil man mich als getauften Juden gar nicht hineinließe. Nein, ich habe
einen Bruder in Hamburg, den Onkel Eduard, wie ihr wißt, und wenn er auch eben
meiner Taufe halber bös mit mir ist, so wird er mich jetzt nicht im Stich lassen
– Juden haben ja, gottlob, Familiensinn«, – diese Worte begleitete ein
stechender Blick gegen Schneuzel – »und ich werde eben dort für mich und meine
Familie eine neue Zukunft aufbauen. Es sei denn, daß Annerl lieber bei euch
bleiben will.«
Worauf Frau Anna, müde und verblüht, wie man es nach fünfzehnjähriger Ehe zu
sein pflegt, rosige Wangen bekam, ihre Arme zärtlich um den Hals des Alois
Corroni, recte Sami Cohn, schlang, ihn küßte wie eine Braut ihren Bräutigam und
wirklich wie ein junges Mädchen aussah. Und schließlich mußte sich Herr
Schneuzel völlig verstört und verzweifelt verpflichten, dem Schwiegersohn so
gewissermaßen als Fundament für die neue Zukunft eine Million mit nach Hamburg
zu geben.
Nachmittags ging der National-, Gemeinde- und Armenrat Schneuzel allein zum
Heurigen nach Sievering, fing dort mit einer Gesellschaft, die noch immer
»Hinaus mit den Juden!« schrie, Streit an, zerbrach seine Flasche an dem Schädel
des einen Schreiers und wurde furchtbar verprügelt.
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