Theodor Wolff:
Ein Leben mit der Zeitung
Von Thomas von der Osten-Sacken
Mit der Biografie "Theodor Wolff. Ein Leben mit der Zeitung"
vervollständigt Bernd Sösemann seine 1993 begonnene
Theodor-Wolff-Gesamtausgabe, die aus den politischen Leitartikeln von
Theodor Wolff, seinen Feuilletons und Tagebüchern aus den Jahren 1914 bis
1919 besteht.
Sösemann, Leiter der "Arbeitsstelle für Kommunikationsgeschichte und
interkulturelle Publizistik" der Freien Universität Berlin, hat sich so
intensiv mit Wolff beschäftigt, dass es sicher nicht falsch wäre in
Anlehnung an den von ihm gewählten Titel der Biografie von einem "Leben mit
Theodor Wolff" zu sprechen. Diese Nähe und die daraus resultierende
umfassende Kenntnis von Werk und Leben Wolffs ermöglichen es Sösemann auf
eine Fülle von bislang unbekannten Quellen zurückzugreifen das bislang
umfassendste Porträt Wolffs und der Berliner Zeitung (BT) als eine Chronik
des Zeitgeschehens zu präsentieren.
So
verknüpft Sösemann die
wichtigsten biografischen Stationen mit den Zäsuren der deutschen Geschichte
- vom Kaiserreich, über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik bis zum
"Dritten Reich". Dabei fokussiert er zugleich die Entwicklung der modernen
Zeitung zum Massenmedium, das zunehmend die politische Meinung nicht nur der
Eliten, sondern auch der Massen beeinflusste. Wie kaum ein anderer steht der
Name Theodor Wolff für diese Entwicklung, unter seiner 26 jährigen
Chefredaktion entwickelte sich das Berliner Tageblatt zu einer der führenden
liberalen Zeitungen in Deutschland.
Dabei hatte Wolff, der 1868 als Sohn eines jüdischen
Schnapsfabrikanten geboren wurde, in seiner Jugend eher künstlerische
Ambitionen. Seine Bühnenstücke und Prosa allerdings waren nur mäßig
erfolgreich, durch Vermittlung des Cousins und Zeitungsverlegers Rudolf
Mosse wurde Wolff Korrespondent des BT in Paris, wo er unter anderem die
Dreyfus Affäre verfolgte und sich couragiert hinter Georges Clemenceau,
Emile Zola und Anatole France stellte. Anders als Theodor Herzl aber, den er
in Paris kennen lernte, zog Wolff nicht den Schluss aus der Dreyfus-Affäre,
dass die Idee der Assimilation gescheitert sei, sondern verteidigte nur
stärker "liberale und demokratische Grundsätze gegen Antisemitismus und
Klerikalismus." Bis zu seinem Ende im Berliner Jüdischen Krankenhaus 1943
war Wolff dem Zionismus gegenüber ablehnend eingestellt und glaubte, selbst
nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, weiter an eine mögliche
"deutsch-jüdische Symbiose".
Gerade dieser Glaube, verknüpft mit einer auf
deutsch-französischen Ausgleich setzenden kosmopolitisch orientierten
Haltung, machten Wolff zum prominenten Hassobjekt deutscher Antisemiten. Für
sie repräsentierte er den Typus des großbürgerlichen, assimilierten und
kosmopolitischen Juden, das Berliner Tageblatt wurde zum Inbegriff der
"verjudeten" Berliner Presse; früh fand sich sein Name, gemeinsam mit denen
Walter Rathenaus und auch Rosa Luxemburgs auf den schwarzen Listen
völkischer Gruppierungen. Aber nicht nur sein Judesein, sondern seine
dezidiert liberalen und antimilitaristischen Überzeugungen machten ihn schon
im Wilhelminischen Kaiserreich zum Feind der antisemitischen und
antidemokratischen deutschen Rechten. Wolff selbst verleugnete nie seine
jüdische Herkunft und
bekannte sich, wie Sösemann schreibt, "aus Anhänglichkeit zu
seinem Glauben" und beschrieb sein Verhältnis zum
Judentum selbst mit den schönen Worten "Wenn hinter den Fenstern
einer benachbarten Wohnung ein frommes Ehepaar die Sabbathlichter anzündet,
so sind das zwar nicht meine Kerzen, aber ihr Licht ist warm."
Wolffs exzellent geschriebenen Artikel aus Frankreich veranlassten Rudolf
Mosse 1906 seinem Cousin die Stelle als Chefredakteur des sich zum
Flaggschiff des Konzerns entwickelnden Berliner Tageblattes anzubieten.
Obwohl er Paris nur ungern verließ, nahm Wolff das Angebot an und sollte in
den nächsten Jahren zu einer der prominentesten Figuren eines
dezidiert bürgerlich-liberalen Journalismus werden. Im 1. Weltkrieg setzte
sich Wolff gegen die annexionistischen Pläne des deutschen Militärs und für
eine Stärkung des Parlaments ein. So wundert es nicht, dass er die Abdankung
des Kaisers 1918 als "die größte aller
Revolutionen" begrüßte. Da Wolff zwar Radikaldemokrat war, sich aber
vehement gegen die Bolschewisten und für Friedrich Eberts gemäßigten
sozialdemokratischen Kurs aussprach, trat er in dieser Zeit selbst aktiv in
die Politik ein und half die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) zu
gründen, in der er sich, wie auch in seinen berühmten Leitartikeln, für ein
republikanisch ausgerichtetes Bündnis zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft
engagierte, ohne je führende Positionen in der Politik zu übernehmen.
Dabei entwickelte sich das BT unter Wolffs
Chefredaktion zum auch im Ausland angesehenen Organ des politischen
Liberalismus, in dem die publizistische Prominenz der Weimarer Republik
schrieb und das zu Hochzeiten eine Auflage von 300
000 Stück erreichte. Bis zur Gleichschaltung 1933 begleitete das BT
kritisch und beratend die verschiedenen Regierungen der Weimarer Republik,
wobei Wolff, der gerne gesehener Gast verschiedenster Minister war, sich
weiter vehement für eine Verständigung mit den europäischen Nachbarn aber
auch der Sowjetunion einsetzte und unermüdlich den antidemokratischen und
antisemitischen Geist der deutschen Rechten und später der
Nationalsozialisten bekämpfte.
Das
vorletzte Kapitel ist Wolffs Exilzeit in Frankreich gewidmet, wo der
ehemalige Chefredakteur ein zurückgezogenes Leben als Literat in Nizza
führte und wo ihn im Auftrag der Gestapo 1943 italienische Polizisten
festnahmen, um ihn nach Deutschland auszuliefern. Bevor er weiter in ein
Konzentrationslager verbracht werden sollte, starb Wolff am 23. 9. 1943 in
Berlin an einer Krankheit.
Die
Biografie Sösemanns bringt mit der Person Theodor Wolffs auch die
Sternstunde des liberalen deutsch-jüdischen Journalismus in Erinnerung, an
den nach 1945 weder in Ost- noch Westdeutschland angeknüpft werden konnte
oder wollte. Seine Erbschaft findet man - wenn überhaupt - heute eher in
Redaktionsstuben in New York oder Tel Aviv als in Berlin oder Frankfurt.
Darüber mag auch der jährlich vergebene Journalistenpreis der deutschen
Zeitungen, der Theodor Wolffs Namen trägt, nicht hinwegtäuschen.
Kesher, No. 32, November
2002
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